KILL 2012

Moin,

KILL - kann ich leident laufen

Oder kann ich laufend leiden? Ist in diesem Fall und Jahr eigentlich das gleiche. Ging ja soweit gut bisher. Bin Eulenburg, K78 und Jungfrau in meinem Sinne gelaufen und danach auch weiter moderat durch die Gegend gehoppelt. Aber dann. Unvermittelt und dennoch schmerzhaft meldete sich die Hüfte. Links. Die an dem Antriebsstrang, wo Fuß, Knöchel und Hüfte eh immer wieder was zu jammern haben. Gut, wenn das hier so steht ist natürlich auch obige Aussage das es bisher soweit gut ging als falsch entlarvt. Es ging. Relativ gut. Relativ schmerzfrei. Das ist wohl näher an der Wahrheit. Denn gezwickt hat es das ganze Jahr. Immer wieder. Mal hier mal da. Mal mehr mal weniger. Aber immer links.
Ja und nun zwickte es nicht mehr. Jetzt tat es weh. Sehr sogar. Selbst Gehen war ein Problem. Und sah wirklich schlecht aus. Menschen drehten sich um, wenn Sie mein wankendes Gangbild sahen. Rotation in der linken Hüfte? Fehlanzeige. Und wenn es per Kopf angeordnet wurde, dann war der Schmerz so groß, dass die schwubs die Kontrolle über den linken Antriebsstrang vom vegetativen Nervensystem abgeklemmt wurde und ich unmotiviert durchsackte. Ja. So war das. So ist das.
Jetzt könnte man den Schluss ziehen, dass eine Pause der Situation Rechnung tragen könnte. Könnte. Ja. Und vernünftig wäre es obendrein. Und besser. Und überhaupt. Aber da war ja noch der KILL. Und ich war angemeldet. Genau. In so einer Situation ist weder Raum für Besser oder Vernunft. Es muss weiter gelaufen werden. Der KILL ist zwar nicht lang, aber hügelig und ab und zu könnte ein kleiner zwischen Spurt nötig sein. Immerhin hat es Schwarzwild. Pacemaker der natürlichen Art.
Also bin ich weiter gelaufen. Nicht so viel. Ein bisschen Vernunft bremste mich dann doch. Aber gelaufen. So 30-40km die Woche. Für mich schon echtes Training. Gingen die Schmerzen weg? Nein. Im Gegenteil. Es bildeten sich interessante neue Formen. Keine davon schön. Aber alle deutlich und unmissverständlich.
So stand ich dann am … in der recht großen Menge der Starter. Von ehemals max. 25 waren immerhin 50 gekommen. So kann das gehen, wenn man einen tollen Lauf ausrichtet. Es spricht sich rum. Ich wähnte mich etwas im Vorteil, weil ich zwar das Aua hatte, aber die Strecke kannte. Einmal HILL und einmal KILL. Das würde mir an der einen oder anderen Stelle - so hoffte ich - einen kleinen Orientierungsvorteil verschaffen. Nicht das ich plötzlich schnell sein wollte. Nein, es ging nur darum in den Cut Off Zeiten zu bleiben. Und da würden Aua und Streckenlänge schon als Hindernis zu sehen sein. Da muss man sich nicht zusätzlich verlaufen.
Bei den Starten tauchten einige bekannte Nasen auf. Mehr als sonst. Ich fürchte ich bewege mich bereits zu lange in diesen Kreisen. Ich fange an Menschen zu kennen. So war das nicht geplant. Aber es lässt sich wohl nicht ändern. Und letztlich auch egal, weil die eh alle nur am Start um mich herum sind. Ich wusste ich bin schnell, schnell allein. Allein mit dem Wald, der Kälte, dem Schwarzwild, dem Aua und den Leuchtpunkten. Den magischen kleinen Dingern die mir zeigen wo es weitergeht. Skurrile Leuchtpunkte im dunklen Hildesheimer Wald.
Ach, wenn es doch endlich losgehen würde. Noch ist es nicht 17:00. Demzufolge laufe ich noch nicht. Mein Kopf hat Leerlauf. Und denkt komische Dinge. Warum? Es wird den Schmerz nur verschlimmern. Du wirst leiden, denk an den Moment auf der kaputten Rolltreppe. Ein Stockwerk. Du hast gestöhnt. Das ist vorgestern gewesen. Mitten im Tapering kommst Du ein Treppe nicht hoch. Stirb doch lieber hier. Das wird nüscht. Blöder Kopf. Also bitte mal die Zeit auf 17:00 ich will endlich Laufen. Kein Peng. 17:00. Ich laufe.
Ich höre Sie schon die Rufe: "Warum tust Du Dir das an?" oder "Das ist doch krank!" "du spinnst". Ist das so? Tue ich mir was an? Spinne ich oder bin ich gar krank? Es ist sicher nicht leicht zu erklären. Ich versuche es dennoch. Ich habe Aua in der Hüfte, dem Knie, dem Fuß, eine Blase, es regnet, ist kalt, man möge sich es aussuchen. Und dennoch nehme ich meine Laufklamotten stelle mich auf die heimische Veranda oder eine imaginäre Startlinie und laufe los. In der Tat ist das etwas befremdlich. Man könnte es ja auch lassen. Und dann? Dann sitzt man irgendwo. Weh tut es immer noch. Der Regen hört nicht auf, warm ist es vielleicht im Raum… aber ist das die bessere Wahl? NEIN. Leute, draußen, sich bewegen, die Bewegung spüren, ein Ziel erreichen, die frische (notfalls kalte) Luft einsaugen, die Geräusche (bei mir sehr oft, der Nacht) hören, die Gedanken treiben lassen, die Muskeln werden müde, die Natur sagt pieps…All das würde mir auf dem Sofa entgehen. Und es würde mir fehlen. Und oft ist die Hüfte nach dem Lauf still, mir ist innerlich und äußerlich nach dem Lauf wärmer, als wäre ich nur drin geblieben. Also gehe ich laufen. Es ist mir wichtig. Es ist ein Teil von mir. Ich schalte ab und um.
Ah, die neuen Rufe "Alda, du bist süchtig", "Willst wohl immer das Runners High erleben"… haha. Da muss ich leider enttäuschen. Ich bin vielleicht noch nicht lange genug unterwegs gewesen, diesen Flow, dieses Runners High, für mich ein Mythos. Kenn ich nicht. Gibt es nicht. Jedenfalls bei mir. Also süchtig im Sinne Endomorphin Junkie, definitiv nicht. Süchtig im Sinne von "ja ich will laufen weil es mir gut tut"? Schuldig. Genau das ist es. Ich befolge ja - sehr zum Leidwesen einiger - keine Trainingspläne. Also stehe ich in der Regel nur in Laufklamotten vor der Tür, wenn ich es will, nicht weil ein Zettel sagt: Du musst. Und wenn ich nicht will - was durchaus vorkommt - dann laufe ich eben nicht, oder morgen, oder später, oder kürzer, oder langsamer oder…. Da bin ich offen. Verstanden? Wenn ja gut, wenn nicht, egal. Ich schon.
Und ich laufe. Erstmal ein sanfter Anstieg im schwachen Licht des entschwindenden Tages. Ich war schon mal hier. Ich lief neben Tessa. Ich drehe mich um. Links? Nein, Rechts, nein. Stimmt. Tessa ist diesmal nicht dabei. Die anderen schon. Aber die sind schneller. Das Laub raschelt. Das immerhin ist wie damals. Es geht sanft bergan. Auch das ist so wie gehabt.
Neu ist, dass ich die ersten km mit Ingmar gelaufen bin. Irgendwo in Höhe Boschwerke haben sich dann unsere Wege getrennt. Aber ich sehe immer noch Lampen. Ich bin noch nicht ganz hinten. Nach ca. 8 km kommt der Turm. Kurze Kontrolle durch den Race Direktor. Und weiter geht es. Als wir an der Wildschwein Suhl Stelle sind muss ich besser aufpassen. Die Streckenführung ist eine neue und ich will mich nicht jetzt schon verlaufen. Geht aber noch alles gut. Die Nacht ist sternenklar. Es soll auch Sternschnuppen geben. Aber ich sehe leider keine.
An einer Stelle gehen diverse Weg ab und ich entscheide mich zunächst für den falschen. Aber nur wenige Meter, dann piepst das GPS und deutet an, dass da was nicht stimmt. Also zurück, anderen Weg gefunden und genommen. Ah, da sind auch die Leuchtpunkte. Nicht so zahlreich wie sonst. Macht das Navigieren etwas anspruchsvoller. Ich komme den Hügel runter und sehe eine Gruppe von links kommen. Verlaufen? Na sie sind vorbei bevor ich den Weg erreiche und kommen auf dem Forstweg zügig voran. Aber müssen wir nicht mal rechts weg? Zunächst bin ich geneigt der Herde zu folgen. Bremse dann aber und ja, Auch ich bin schon zu weit. Weiter vorn, bremsen auch die anderen Stirnlampen und folgen mir.
Jetzt bin ich auf dem freien Feld und es wird gleich der Radweg kommen. Der den wir nehmen sollen, weil der andere Weg, der eigentliche, untergepflügt wurde. Auch gut. Radweg ist zwar nicht so schön, aber leichte Navigation. Kurz vor der Verpflegungsstelle werde ich noch eingeholt und so geht es zu dritt in den Unterstand. Super ist es dort. Heizstrahler, warm, jede Menge Süssigkeiten, Kaffee, Cola. Das Paradies auf Erden. Ich fühle mich gut. Daher werfe ich nur kurz ein paar tausend Kalorien ein und weiter geht es.
Die Hügelschleife. Komisch. An einige Stellen erinnere ich mich vom ersten KILL. An andere so gar nicht. Im Wesentlichen bin ich allein. Aber einmal treffe ich auf zwei Mitstreiter die noch eine Brotzeit eingeworfen haben. Einmal werde ich überholt. Und einmal, Achtung!, überhole ich. Wow. Auch das gibt es. Hier scheint es kälter zu sein als auf dem ersten Abschnitt. Teilweise ist der Boden gefroren und hin und wieder rutsche ich sogar etwas weg.
Die Runde zieht sich und eine Stelle mit einem langen Anstieg in einem Hohlweg wird mir als "da war mir aber mal warm" in Erinnerung bleiben. Ich schätze meinen Abstand zur VP und glaube es ist noch hin, als ich Stimmen höre, Stirnlampen sehe und den weißen Schimmer einer mit Flies verhangenen Eingangstüre sehe. Der VP. Ups. Habe ich mich wohl verschätzt. Aber so rum ist es netter, als wenn man denkt: Die müsste doch längst.
Diesmal verweile ich etwas länger. Ich muß mich rüsten für die letzten 32km. Trinkblase füllen. Magen füllen. Und weiter. Zunächst erneut der Radweg. Dann über die Felder Richtung ICE Trasse. An der Bundesstraße höre ich Stimmen. Ohne Stirnlampe. Lokale Kampftrinker auf dem Weg nach Hause. Ich fange ein paar Kommentare, die ich als nüchterner nicht verstehen kann. Na macht nichts. Unsere Weg trennen sich schnell. Unter der Bahnstrecke durch und parallel dazu nach oben. Das kenne ich. Ich sehe nicht auf die Karte. Fehler. Den plötzlich stehe ich sehr weit oben. An einem Zaun. Unten Stirnlampen. Da sollte ich auch sein. Zurück. Es soll schnell gehen, also diesmal durch das Unterholz. Dornen. Klasse. Aber auch das muß wohl mal sein. 15min dürfte mich das gekostet haben. Blöd.
Was jetzt kommt nervt. Es geht ewig weit auf Forstwegen gefühlt geradeaus. Klar sind da Kurven und Abzweigungen. Aber die Navigation ist einfach. Die Nacht fortgeschritten, der Kopf leer. Und dann das. Forstwege. Erst als es nach links weg und über die kleine Brücke geht, verändert sich die Strecke. Es folgen wieder kleiner Wege. Und ich verlaufe mich zum zweiten mal. Ich denke ich bin schon am Ende und muß den Berg hoch. Dann piepst das GPS und sagt ich bin vom Kurs weg. Also doch weiter auf dem Weg geradeaus? Gut. Kein Leuchtpunkt. Und auch hier ein: Pieps Du bist falsch. Komisch? Karte? Muss also doch da hoch. Wieder den Weg versucht. Pieps. Pieps. Und die Kurven passen nicht zur Karte. Zurück. Die Hanglage und gerade aus, dass muss richtig sein. Piepsen ignoriert und weiter. Erneut sind Minuten liegen geblieben.
Dann kommt der Abzweig nach oben. Ein Anstieg und ich bin oben auf der Kammlage. Nebel. Dichter Nebel. Das finden der Leuchtpunkte wird nicht leichter. Ist aber hier auch nicht so schlimm. Geht ja nur gerade aus.
Ich überquere die Straße bei den Schweineställen. Jetzt noch einmal auf den Kammzug hoch, der am Tierpark vorbei führt. Das Ziel ist nah. Man ist wieder in der Stadt. Licht der Laternen oder am Höhenweg ersetzt die Stirnlampe. Einmal noch auf einen kleinen Pfad und dann kommt auch schon das Licht des einsetzenden Tages. Ich bin mal wieder zu langsam. Ich sehe den sanften Anstieg Richtung Gut. Von da sind es nur noch wenige Meter bis zum Ziel. Ein letztes Stück über Asphalt und ich bin da. 14:36. Lange. Sehr lange für 80km. Selbst mit verlaufen. Ach, egal. Geschafft. Meine Hundemarke bleibt heil. Ich habe den KILL zum zweiten mal geschafft. Und ein bisschen war sogar Tessa dabei. Gators die Sie mir mal geschenkt hatten haben mir einen Steinchen freien Lauf beschert.
Susanne und Michael, vielen Dank, dass Ihr immer wieder Eure Zeit und Geduld opfert um solch tolle Events zu organisieren. War sicher nicht mein letzter Lauf mit Euch.