Jungfrau 6.0

September 2010

Zum 6ten Mal die Jungfrau

Moin,
Jungfrau 6.0 – zum scheitern verurteilt.
Mensch, Mensch. Jungfrau 6.0. Wie die Zeit doch rast. War es nicht erst eben, dass ich mit zitternden Knien in der Läuferscharr stand und mich zum ersten Mal an dieses Abenteuer gewagt habe. Im Alter schrumpft das Zeitgefühl. Sagt man. Und mittlerweile bin ich geneigt das zu glauben. Um noch einmal ein bisschen dieses Gefühl der Ersttat spüren zu können, war für 6.0 geplant mit einer Novizin zusammen zu starten. Aber mal schön der Reihe nach:
Ich musste ja erstmal Interlaken erreichen. Und meine treuen Leser wissen, dass bekommt der wowbagger nicht immer fehlerfrei hin. So gab es in der Vergangenheit kurzeitige Wechsel der Verkehrmittel (4.0) ebenso wie Übernachtungen auf zugigen Bahnhöfen (5.0). Um ganz sicher zu gehen, habe ich diesmal eine andere Reisroute und ein anderes Flugunternehmen gewählt. Die Route war diejenige welche mit auch schon nach Biel gebracht hatte. Nämlich über Zürich. Die Airline hatte nicht nur einen Flieger pro Tag, so dass ausweichen möglich wäre. War aber gar nicht notwendig. Alles lief glatt. Ich kam pünktlich in Zürich an. Es fuhr noch ein Zug nach Interlaken. In der Villa hatte man ein Zimmer für mich, den ich hatte sogar für den richtigen Tag gebucht Wow. Das ging eigentlich fast zu glatt. Aber schön war es dennoch.

In der Villa teilte ich ein Zimmer mit anderen. Nur einer lief auch die Jungfrau. Die anderen hatten viel zu erzählen und so war die Nacht sehr kurz.
Am Morgen dann traf ich mich bei super Wetter mit dem Schweizertrinchen. Wir wollten ja im Duett starten. Ziel war es die Strecke vollständig gemeinsam Pronationsgestützt abzuhoppeln. Bisher hatte ich ja meine flotten Laufpartner (wenn denn dann welche dabei waren) immer nach den flachen 10km im Tal ziehen lassen. Wir würden sehen wie sich das entwickelt.
Wir stellten uns in die unmittelbare Nähe des Startbanners. Wir erinnern uns, Besenwagenzeiten sind brutto Zeiten. Also kann für den schwachen Läufer nur ein Brutto gleich Netto gelten, denn der schwache Läufer hat von Haus aus kein Polster. Zeitpolster um präzise zu sein. Denn mein Biopren Polster war hinreichend vorhanden und der Gedanken diesen voluminösen mittleren Ring jetzt auf die kleine Scheidegg wuchten zu müssen erheiterte mich nicht im Geringsten. Aber was soll ich hier rummoppern, war ja ein selbst gewähltes Nutella Schicksal. Ich musste da jetzt durch.
Jetzt hieß es die platte Runde durch Interlaken sub 60min zu durch eilen. Das würde Erfahrungsgemäß, wenn kein Einbruch erfolgt, beim Halbmarathon in einen 15min Puffer auf die Reinigungskräfte münden. Da das Wetter mitspielte, ich dann doch noch ein bisschen trainiert hatte und dachte den Dodentocht nicht mehr in den Knochen zu haben, liefen das Trinchen und ich sehr flott los. Ich kam mir allerdings sehr bald vor wie ein Bremswagen der Deutschen Bundesbahn. Ich denke ohne den Treibanker wäre das Trinchen hier ganz anders an dem Publikum vorbeigezogen. Aber so ist das, wenn man mit M50 Kerls auf so ein Rennen geht, es geht langsam. Und ich war schon mit reichlich Keuchfaktor unterwegs. Kein gutes Zeichen, wirklich nicht.

Bei km 8 merkte ich – das Trinchen blickte häufiger auf die Uhr – ich muß meine Rolle als Bremswagen aufgeben. So löste ich mit dem Satz: Lauf zu, Du kannst doch schneller. Die Kupplung und das Trinchen entfleuchte nach vorn. Auf der Einen Seite war ich darüber natürlich sehr traurig, wollten wir doch gemeinsam laufen, auf der anderen Seite war ich aber auch sehr, sehr froh. Denn mir war eigentlich hier schon etwas klar: Ich würde wohl heute nicht das Ziel sehen. Jedenfalls nicht ohne zwischendurch den Zug zu nehmen. Nach 60 min hatte ich den Verpflegungsposten vor der Brücke erreicht. Aufgabe sub 60 mal so ganz knapp erfüllt. Riegel in die Kiemen und ran an den Berg. Das ich an dieser Stelle eigentlich keine Körner mehr für eine weitere Teilnahme an dem Wettbewerb hatte stand für mich fest. Ich war hinreichend alle. Das normale Kraftdepot war leer. Sowas von leer. Aber ich wollte ja weiter. Also habe ich schnell die, ein bisschen was geht immer noch Reserve geöffnet und weiter ging es.

Klar war aber, dass meine Idee, den Dodentocht nach 4 Wochen aus den Knochen verbannt zu haben wohl ein echter Trugschluß war. Denn wo ich sonst durch Willen einfach weiterlaufen konnte, war hier der Körper bereits so kaputt, dass vernünftige Menschen den Lauf beendet hätten. Aber ich dachte, ich bin eh da und da kann ich auch solange laufen, bis die mich aktiv aus dem Rennen entfernen. Gesagt getan. Ich aber schob mich langsam und zäh den Hügel hoch.
Langsam. Noch langsamer als im Tal. Hoch zum Dorf. Langsam, aber beständig. Raus aus dem Dorf. Ein kurzes Stück bergab. Dann Wald. Immer schön traben. Hier kann man zeit verlieren. Hab ich bei 4.0 auch gemacht. Ein DNF war die Folge und der war eigentlich auch hier schon für die 6.0 wieder klar. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Also in Bewegung bleiben. Zweilütschienen. Wieder eine Etappe. Futter eingeworfen. Weiter. Am Bach entlang. Jetzt ist es nicht mehr weit. Wackelbrücke. Am Fluß entlang bergauf. Die fiese Steigung am Parkhaus. Gehen. Kurve. Lauterbrunn. Durch den Ort. Lautsprecher. Ich bin VIEL zu spät hier. Noch 1km bis zum Halbmarathon. 2:30. Wow! Das ist eigentlich schon Ausschlußzeit.
Da hatte ich noch ca.2min Vorsprung auf den Besenwagen. ich mag knappe Sache, aber so knapp müssen die nicht wirklich sein. Es stand die Frage ob ich mit dem Halbmarathon aufhöre und mich ärger, oder ob ich noch die Wand bezwinge, völlig fertig bin und mich dann ärgere. Ich entschied mich für die zweite Variante. Ich hörte mal, es gäbe da noch ein Notprogram. Aus alten Tagen. Irgendwas in der Richtung, wenn der Wolf wieder erwarten immer noch hinter die her ist, dann ist hier noch die „der Wolf ist noch nicht müde“ Flucht-Not-Schachtel. Die war also jetzt dran. Ein bisschen Kraft kam zurück.

Also noch „schnell“ die 5km durch das Tal von Lauterbrunn und dann bei km 26 rein in die Wand. ca. 400 Höhenmeter auf etwas mehr als 1km. Das ist der absolute Hammer. Bereits nach wenigen Schritten wollte meine Lunge den Körper auf immer verlassen und die Beine sprachen jeden vorbeikommenden an, ob er/sie nicht Interesse an einer Adoption hätten. Es könne nur besser werden. Aber ich lies weder Beine noch Lunge gehen und Zwang den müden Körper die Wand hoch. Den Atem des Besenwagens (in diesem Fall ein durchtrainierter Mountainbiker mit einem Reisigbesen auf dem Rücken) ständig als warmen Windzug im Nacken. Mir war klar, dass dieses letzte Aufbäumen a. am oberen Ende der Wand zu einem jähen Ende kommen würde und b. der Besenmensch mich spätestens dort einholen würde. So kam es auch. Km 28 und ich war raus. Dann noch entspannt bis 31,25 weitergemacht. Man darf immer noch bis zur nächsten Zeitnahme. Und dann war in Wengen Schluss.
Das ist ein wirklich böses Gefühl. Schluss. Das schreibt und sagt sich so leicht. Aber weder ich noch der müde Körper waren den weiten Weg in die Schweiz gefahren um mit diesem „Schluss“ in Wengen aufzuhören. Gern würde ich jetzt schreiben: Der Fuß war Schuld, die Sehne gerissen, das Wetter war mies, der Besenradler zu früh, …. Irgendwas aus der Rubrik: Lag ja nicht an mir. Aber liebe Leute, dass wäre alles gelogen. Rückblickend kann ich nur sagen: Zu wenig trainiert und den Effekt vom Dodentocht unterschätzt. Statischtisch gesehen führt die Teilnahme am Dodentocht nämlich zu 100% zu einem DNF bei der Jungfrau (gut die Basis für die Statistik ist dünn, aber die zwei Mal wo ich beides in einem Jahr versucht habe, bin ich jedes Mal an der Jungfrau gescheitert). Aber sollte ich jetzt heulend in Wengen am Straßenrand sitzen, mir in der prallen Sonne einen gepflegten Sonnenbrand zapfen? Nein. Es gab ein Leben nach dem Scheitern:
Schnell bin ich in die Bahn nach oben gesprungen, denn ich hatte mir eine Neue Aufgabe gesucht. Ich wollte Marianne jetzt oben einen gebührenden Empfang bereiten. Also oben fix geduscht, einen Strauss Naschi gepflückt und Cola besorgt und ab zum Zieleinlauf. Auch wenn ich total müde war, timming funktionierte noch. Ich saß keine 3 entspannte Minuten und Marianne trabte an. Noch schnell Hand in Hand mit Ihr die letzten 100m zusammen gelaufen und dann ein schönes Chill Out unter knalle blauen Himmel und strahlender Sonne.
Ich habe mich wirklich mit Marianne gefreut. Erster Marathon überhaupt und dann die Jungfrau… Wow. Das ist eine wirkliche tolle Leistung. Die Freude über Ihren Triumph hat mir auch ein bisschen über mein Scheitern hinweg geholfen. Glückwunsch auch noch mal von hier!!!
Einen Effekt hat der Lauf dann auch noch gehabt: Ich hatte schon einen persönlichen Jahresplan für 2011 aufgestellt. Dieser ist mit dem Scheitern an der Jungfrau pulversiert worden. Glaubt es oder nicht, er wird neu aufgestellt und es werden für mich völlig neue Dinge wie Regnerationszeiten und Training mit eingebaut. Ich möchte in 2011 nur dort starten wo ich auch ankomme. Äh, anders, wo ich starte will ich auch ankommen. Genau. Und um das zu schaffen werde ich mich – sag ich zumindest jetzt und hier – vorbereiten. Jawoll.

Und wie immer das Fazit: