GAX

2009

Der GAX

Moin,
der Bericht diesmal geteilt. Wir haben im Angebot: Prolog, Vernunft, Strecke, Stolz, Epilog.
Fangen wir mal mit dem Prolog an, der bereits vor dem Lauf geschrieben wurde:
Der letzte lange lauf war ja der Fidelitats Nachtlauf. Bericht findet sich hier im Forum. Danach bin ich noch mal mit Ultreuse T. aus H. ca. 23km durch die Nacht gehoppelt und ansonsten immer nur kurze 10km Dinger. Aber auch davon nicht viele. Ein bisschen wandern am Berg und fertig war das Training. Wofür? Für einen 100er. 100er muß man das nennen, weil ich ja einen Deal habe mit meinen Leuten. Nichts mehr über 100. Bezog sich auf 100km. Kann man aber auch auslegen als nicht mehr über 100 irgendwas. In diesem Fall Meilen. Wenn mir mal der Sinn nach mehr steht können es ja noch Stunden oder Tage werden. Männer sind so. Nicht zu fassen. Interpretieren Dinge immer in Ihrer eigenen Welt. Zurück zum Laufen. Also ich war mit ca. 24km/Woche seit Anfang des Jahres im Training für diese Sache hier in Schweden. Im Training? Also mir nahestehende, auch Ultras sehen das anders. Die Stimmen im Vorfeld die mich zum nicht starten bewegen wollten waren derer viele. Und was soll ich sagen: Recht haben Sie eigentlich alle. Es ist definitiv nicht genug an Vorbereitung gewesen. Aber in meinen Lebensumständen war mehr nicht drin. Und mit dem Treppenlauf hatte ich zumindest eine seeehrrr lange und mit dem 80er eine lange Trainingseinheit. Das ich in den letzten Wochen eher sehr wenig gemacht habe ist sicher nicht gut gewesen und hat auch mächtig auf mein Gemüt gedrückt. Ein 20er ca. 9 Tage vor dem Start war so was von zäh, dass auch ich dachte: Besser Du fährst da nicht hin und ersparst Dir die Blamage. Dann aber dachte ich: Welche Blamage? Es ist ein langes Ding. Da kann immer irgendwas schiefgehen. Auch mit Training. Und das ich in den Tagen vor dem Start immer denke das wird nie was, das gehört ja auch dazu. Nervosität ist das halbe Leben. Und letztlich wird immer alles gut. Nach dem Start ist die Welt eine andere. Der Plan sah so aus: Ich sollte - Veranstalter - für die 80er Marke (50Meilen) nicht länger als 13 Stunden brauchen. Ich wollte nach 12std. da sein. Damit musste ich im Mittel mindestens einen 9er Schnitt hinbekommen. Dazu stand starten mit 7min/km auf dem Zettel. Man würde sehen. Für die zweiten 80 hätte ich dann noch 18Stunden. Locker - oder nicht. Auf jedenfall sollten hier kleiner Brötchen gebacken werden. Einen Marathon gedachte ich dann noch in 11er Schnitt zu schaffen. Ehrgeizig, wenn man meine Deasaströsen Endzeiten in Biel vor dem Auge ablaufen lässt. Na ist ja nicht Biel. Ist flach, nicht in den Bergen, ich hab weniger trainiert bin also frisch im Saft und … Gründe gab es genug warum das klappen musste. Damit wäre ich also nach ca. 19,5std. bei km 120. Ich hätte also noch gut 10std. für den letzten Marathon. Ich könnte also 14,5min/km brauchen und hätte sogar noch ein bisschen Luft. Klang gut. Aber ich befürchte so würde das nicht kommen. Ich fühlte mich schlapp im Vorfeld. Die Zahlen machten mir Angst ohne Ende…. Das war schon bitter. Na immerhin die Anreise sollte sich leicht gestalten. Von HH schnell mit dem Bistropanzer nach Travemünde. Ab auf das Schiff und tagsüber nach Malmö. Ich könnte pennen und richtig, richtig ausgeschlafen in Schweden ankommen. Dann die wenigen km nach Ystad und den Startplatz suchen. Bistropanzer parken, Sachen bereitlegen, Dropbag packen, und auf der Ladefläche schlafen.



Vernunft:
Wir schreiben Samstag den 15ten August. Es ist 7 Uhr. Es nieselt ein bisschen. Ich rolle mich aus dem Bistro Panzer, erleichtere meine Blase und mache mich auf den kurzen Weg zum Start. Dort warten schon ein paar andere. Christian H., Christine die mich von Ole grüßt. Ach schön, man kennt sich. Aber es nieselt noch. Weniger aber spürbar. Ich bin auch müde. Nicht das ich nicht geschlafen hätte. Gestern viel Ruhe auf der Fähre. Die Nacht im Auto auch gut. Mitternacht gab es sogar noch Feuerwerk für mich. Wär gar nicht nötig gewesen. Aber ich war schlapp. Lies sich nichts dran deuteln.



Über das Reden mit den anderen verging die Zeit. 8 Uhr. Wir standen an einer Reihe Gehwegplatten. Die Startlinie. Stefan sprach: You are all crazy, good luck. Und wir liefen. So kann ein Start auch gehen. Die Strecke durch die Stadt war so was von wenig klar für mich, dass ich dem Pulk folgte. Ich wollte bis zum platten Land dran bleiben. Gut so. Die ersten verhoppelten kamen uns schon kurz nach dem Start entgegen. Hier lies ich den Pulk ziehen. Ich war eh zu flott gewesen. 6:30. Das war nicht der Plan. Ich sah aber noch Leute und musste nicht viel navigieren. Es nieselt mehr und ab und zu ging es mal durch Gras. Nasses Gras. Nieselte ja. Schuhe in Gamaschen (Danke Tessa!). Dennoch fand Wasser in ausreichender Menge den Weg in den Schuh. Die Socken - obwohl aus high tech Faser - wurden erst feucht, dann naß. Die Haut – auf keine Fall high tech – nahm die Feuchtigkeit dankend an, warf Falten und löste sich spontan vom drunter liegenden Gewebe ab. Blasen. Schön. Was ein Glück, dass wir schon 15km hinter uns hatten. Gleich zu Anfang wäre ja doof gewesen *grins*. Also lagen ca. 135km mit herum vagbundierenden Hautfetzen an den Füssen vor mir. Man gönnt sich ja sonst nichts. 25km. Ich war alle. Die Luft war raus. Zum warum kommen wir noch im Abschnitt Strecke. Hier halten wir einfach mal fest: Exakt nach dem Wochentrainingsumfang schlug die Denkfalle zu. Ich hatte das Gefühl alle zu sein.


Kurz kam ich auch in Hamburg vorbei


Zu diesem Zeitpunkt aber lief ich gerade mit einer netten Schwedin zusammen. Wir klönten über 1976 wo die Schweden eine Königin aus Deutschland importiert hatten, über Smorland wo die Steine liegen… so lief ich auch hier flotter als ich eigentlich hätte können. Bei knapp hinter 30km lies ich die Gute ziehen. Ich war allein. Hinter mir wusste ich noch die 3 anderen Deutschen. Hey, erster Deutscher… Na, war klar lange würde das nicht so bleiben. Kurz vor dem ersten Verpflegungspunkt bei 42km sah die Horde ankommen. Am Verpflegungspunkt waren wir dann zusammen. Es folgte – von uns allen – eine Fressschlacht. Boh, Tischkultur war das nicht. Aber wir hatten halt Hunger. Ich ging dann mit Helmut flott los. Die anderen irgendwie hinter uns. Ein neues Team. Wir waren am schnattern. Und so verhoppelten wir uns. Der Weg wäre leicht links abgebogen. Wir sind schön dem breiten Weg geradeaus gefolgt. Irgendwann fiel mir das Fehlen Oranger Markierungen auf. Helmut noch frisch lief vor um zu gucken, ich schon schlapp wählte den einfachen Weg und sprach den Einheimischen. Sind wir hier (ich hatte eine Idee wo ich war), ja, da sind Sie. Klasse. Diese Antwort bestätigte: Falsch waren wir. Wir wussten zwar wo, aber eben flasch. Die nächste Stuffe des verloren seins, nämlich nicht mal mehr eine Idee zu haben wo man war, blieb mir erspart. Also zurück (ca. 1,5km insgesamt zuviel). Jetzt ruckte Helmut immer mal an. Der war halt frischer. Ich sagte lauf doch Dein Ding. Dauerte bis er mir zutraute allein weiter zukommen. Danke für die Fürsorge. Aber ich sterbe nicht so leicht. Kurz danach hatte ich ihn wieder. Er war auf Christian und Christine aufgelaufen. Letztere lag gerade mal platt im Wald und erholte sich. Ein kurzes Stück ging es zusammen weiter. Dann brauchte ich Wasser und holte mir dies bei Berlineren die Mitten im Wald ein Häuschen hatten. Glück für mich. Jetzt war ich der Schlussläufer. Hinter mir war das blanke nichts. Damit sah es hinter mir so aus wie in mir. Ich war Muskel- und Hirn-schlapp. Na dachte ich. 128km sind ja wohl drin. Das wäre dann weiter als zu jemals gelaufen bist. Klasse Idee. 128km erreichen. Das sollte ab jetzt das Ziel sein. Ich hoppelte weiter. Ich wurde schlapper. Ich soff wie ein Loch. Versorgte mich an jeder möglichen Stelle mit Wasser. So auch bei km 66 wo noch Wasser vom Veranstalter deponiert war. Es sollte abgeholt werden und der Abholer hatte nur auf mich gewartet. Na dann. Die anderen waren hier 5min vor mir (äh, nur die anderen die kurz vorher verloren hatte). Kurz danach verhoppelte ich mich noch mal. 600m. Murks. Die Beine waren hin. Durch die Schonhaltung der Blasen wegen, zwickten jetzt die Knie und die Hüfte. Mein Gehen hatte etwas krankes. Gut das in den Wäldern keine Sanitäter rumlaufen. Die Tiere dachten wahrscheinlich nur, dass die Evolution bei diesem Exemplar sicher einen Fehler gemacht hatte, der sich durch Auslese sicher noch beheben lässt. Es wurde dunkler. Ich war noch nicht beim zweiten Versorgungspunkt bei km 80. Aber ich konnte nicht mehr. Es war alles nicht im Lot. Aber ich wollte ja bis 128km kommen. 80km war doch was für Loser. Weiter als vorher, dass muß doch wohl mindestens drin sein. So oder ähnlich waren meine Gedanken. Und dann Poing. Irgendwo in der Ecke hinter einem Busch oder so muß Sie gelauert haben. Ich – anerkanntermaßen nicht mehr Flink auf den Hufen – konnte nicht schnell genug beiseite springen und zack saß mir die Vernunft im Nacken. Und Sie hatte ein Meinung und ich konnte nicht umhin mich dieser anzuschließen. Es ging wie folgt: Sollte ich lebend den 80km checkpoint erreichen, dann ist dort für mich Schicht im Schacht. Wow. Ich hatte eine Entscheidung getroffen die Sinn macht. Denn bei genauer Betrachtung der Umstände war bereits das erreichen der 80km in 13.41 eine Leistung die hinter der vernünftigen Grenze lag. Also war aufhören der einzig sinnvolle Beschluß. Strecke:
So, bis hierher habe ich ja immer nur über mich und mein inneres berichtet. Und letztlich damit erklärt warum die 160km für mich an dem Tag nicht drin waren. Nochmal: Es war das mangelnde Training. Es wäre aber unfair meinen anderen Gegner, nämlich die Strecke nicht auch zu beleuchten. Also hier die Ode an die Strecke. Im Prolog hatte ich so nett geschrieben: Schweden ist platt. Im statischen Mittel würde ich das auch weiterhin unterschreiben. Echte Berge sind in der Ecke nicht zu finden. Aber die Schweden haben sich damals als Sie Ihr Land gebaut haben massig Erde und Steine liefern lassen. Die LKWs kamen auch und haben das Zeugs da munter in die Gegend gekippt. Dann sollten die Gärtner die Sache platt harken und da kams: Die Schweden hatten keine Kohle mehr und haben das so liegen lassen wie das vom LKW gefallen ist. Und das hat mich zusätzlich zerfräßt. 100m leicht bergauf, 30m leicht bergab, 20m steiler hoch, 300m leichter bergab…. Und das i n e i n e r T o u r !! Nie fand ich meine Rhythmus. Und das ging schon so, als die Wege noch breit und der Belag noch fest war. An der Stelle dachte ich auch noch: Traillauf? Wo denn bitte ist hier ein Trail. Ab so km 30 kamen dann auch die Trails.



Ab km 40 kamen die auch in ihrer lustigen Form. Dieser ganze Gax folgt ja einem Fernwanderweg. Der geht durchs Land und über Land welches auch mal Menschen gehört. Nicht jeder Mensch wollte das die anderen Menschen, die welche über den Weg laufen, auch über Ihr Land laufen. Also schlängelt sich Weg auch mal um Grundstücke rum. Das führt so so lustigen Einlagen wie: Rechts Stacheldraht, links elektrozaun, in der Mitte überwucherte Steine von deutlichem Ausmaß. Da liefen – äh balancierten – wir drüber.



Auch nett war die Wiesen Nummer – die nur Tageslicht tauglich ist, dazu auch später noch mehr. Man steigt über eine kleine Leiter über den Zaun einer Weide. Dann luschert man über die Weide und hofft entweder einen Baum mit einem orangenen Punkt oder einen ebenso markierten Pfahl zu entdecken. Da geht’s dann nämlich hin. Nicht immer sieht man den gedachten Weg sofort.





Schön waren auch die Umrundungen von Häusern. Da ging ein schön bereiter Weg mitten durch das Gehöft. Aber die Wanderer müssen drum rum. Also gefühlt senkrecht den Hang hoch. Bis an die Grenze des Grundstücks. Dann in fieser schräglage am Grundstück entlang und auf der anderen Seite dann wieder steil hinab. Gerade dieses hinab hat mir am Ende mit den offenen Füssen immer ein lächeln aufs Gesicht gezaubert. Wanderer sind ja auch wissbegierig. Zum einen finden Sie ach so herrliche Aussichten soooo schön, und Kultur in jeder erdenklichen Form wird förmlich aufgesogen. Für den GAX bedeutet dies: Findet sich in der Nähe der Strecke eine Erhebung die etwas höher ist als die anderen Erdhaufen, dann geht der Weg da auf jeden Fall mal rauf. Weil man dann ja so herrlich kucken kann. Hat man eh schon keine Kraft mehr, sind die Gedanken beim Aufstieg auf gar keinen Fall Forumstauglich! Ist auf einem Hügel, einem Erdwall oder ähnlichem noch ein Stein, oder eine Anzahl von Steinen, die eine vergangen Kultur dort vergessen hat, dann wird natürlich auch diese Steinsammlung vom Weg besucht. Ich habe gleich mal ein paar Fotos von derartigen Umwegen hier eingestellt.
Stolz:
Bis hier liest sich da ja sehr vernichtend. Und die Grundstimmung ist auch ein bisschen so: Schlecht Trainiert, schlecht informiert – der Untergang hat Methode also nicht meckern sondern still leiden. Aber ein bisschen Stolz und Selbstwert bleibt am Ende immer hängen. Denn TROTZ des nicht wirklich durchgeführten Trainings, und TROTZ der fatalen Fehleinschätzung der Strecke und TROTZ der in sich zusammenfallenden Moral habe ich meinen Körper bis zur 80km Marke bekommen. Viele Menschen um mich herum würden bei 10km schon keuchen, andere einen Marathon als lang bezeichnen, ganz, ganz wenige reden überhaupt über Strecken jenseits des Marathons. Ich war angetreten um 160km zu laufen was total außerhalb des machbaren lag, aber ich bin 80km weit gekommen. Weiter als viele es schaffen würden. Also ihr die Ihr nicht dabei wart: Seht her, wowbagger hat mal wieder 80km geschafft. Und nur weil er seinem Motto treu geblieben ist: Nur wer losläuft kann auch scheitern!

Epilog:
Oder auch Fazit. Anhand einiger Fragen:

Das wars, für Euch beim lesen ist der GAX nun durch, für mich beim erholen noch lange nicht.